Vielleicht ein  bisschen verrückt ... 

 

Des einen Leid des andern Freud . Ich meine die Flugsaison  2003. Meiner  bäuerlichen Bekanntschaft fehlt schlichtweg das Wasser, was uns Fliegern auf der anderen Seite eine jahrhundert Flugsaison erleben lässt....

Wir schreiben den 29. Juni, Bölchi macht es sich am Vorabend wie gewohnt im Massenlager des Hotel Kristall in Fiesch gemütlich. Nach abendlicher flinker Hinfahrt über den Grimsel ohne Verkehr, wieder mal seine 190 Passat Pferdestärken nutzend, ich hab halt doch eine Menge Benzin im Blut...So rüste ich heute gemütlich meinen Starrflügler. „Auf schön flachem privat Aufbauplatz“, begleitet mich Heiner, so teilen wir diesen!!.  Oberhalb der Rampe schön gelegen. Das Wetter sieht gut  aus, um einige weitere Punkte für den laufenden OLC zu erkämpfen. Was sag ich denn, mein Vornamensvetter Hansjörg Trutmann hat seinen Atos Competition auch bereits gerüstet, um sich der Kilometerjagd zu stellen, ja er ist bereits startbereit um seinem hohen XC-Level  gerecht zu werden und die kommende Thermikzeit optimal zu nutzen....Was er diese Saison noch bestens beweisen sollte. Also beeile ich mich ebenfalls etwas, um eher in die Luft zu kommen.

Punkt halb Zwölf schiebe ich elegant meinen wie immer  traumhaft zu startenden Atos in die Luft, um mit ihm bequem der Basis entgegen  zu steigen, was sich aber heute nicht ganz mit der hier gewohnten Hammerthermik vergleichen lässt. Schon mein früher gestarteter Namensvetter sucht östlich der Bahn trotz Rennmaschine auch nach stärkerem Steigen. Schlussendlich werden wir, die Meisten, aber doch dessen heute  fündig. Des Namensvetters bekannt sehr schnellem Flugstil kann ich nicht allzu lange paroli bieten und versuche meinen eigenen Rhythmus zu finden. Das Goms läuft recht ordentlich, das anfänglich schwache Steigen verstärkt sich.

Bölchi gibt Gas....der Furka in einem Zuge, letztendlich jedoch nicht allzu hoch, bringt ihm wie seit jeher bekannt nach dem Passe Knochenarbeit,  „normalerweise“ geht der Klettergartenfels der Bergsteiger knapp östlich des Furkas nach überstandenem Tiefflug, denkste, heute geht auch dieser nicht. Tiefflug . Ich erinnere mich wie mein „alter Herr“ früher mit seinem Saphir mir „Fledgling“ streckenmässig so um die Ohren flog. Heute, er mit seinen 70 Jahren gespannt mit etwas Wehmut meinen Flugrapporten lauscht, ob das uns wohl auch ereilen werde....?? Wird wohl kaum eines Tages zu vermeiden sein....also fliegen wir weiter so lang wir es im Stande sind !! Auf halber Strecke Realp - Andermatt finde ich in Vaters Manier tatsächlich in einer kleinen Runse recht zerrissenes Steigen. Es bringt mich hart arbeitend wieder an die Basis (Meinem Leitwerk sei Dank !!..) Während ich Trutmann bald in Österreich wähne, hat diese Uebung Bölchi praktisch eine Stunde Zeit gekostet. Der Oberalp läuft heute hingegen recht gut , so dass ich zügig das „Rätisch Kongo“, wie einer meiner Bündner Physiklehrer dies auszudrücken versteht, er selbst stammt aus dem südlichen Graubünden, dem Bergell , überfliegen kann.

Bölchi ermahnt sich der Aussage Tomas Suchanek`s auf die Frage: wieso er so gut Leistung fliege?......Fly high; stay high; fly long. So einfach geht das doch !! Disentis bereits überflogen weiss ich nun, ohne dort um halb Vier auf die Bahn gekommen zu sein, wird Bölchi den morgigen Tag wohl fliegerisch nicht nutzen können.

Ich sollte mich nun nebst  solcher Gedanken aber aufs gute Fliegen konzentrieren, um heute doch noch eine stattliche Anzahl Kilometer „fressen“ zu können. Normalerweise ich solche Gedanken schlichtweg zu verdrängen vermag, zurzeit aber das Los des armen Einzelkämpfers. Die bizarren Felsen zwischen Disentis und Ilanz überfliege ich teils eingelult in eisigem Nass einzelner Wolken, um genug Höhe mitnehmen zu können, da erfahrungsgemäss der folgend zu überfliegende Hügelteil dieser Strecke sich gen Osten meist als etwas Höhenmeter fressend erweist. Schön , ich bin nicht mehr alleine, ein mir vom Eggishorn in Erinnerung gebliebener Exxtacy Pilot  kreist  plötzlich den gleichen Schlauch  mit mir etwa über Sagogn. Mehr oder weniger gemeinsam, immer einander im Auge behaltend, es kommt mir wenigstens so vor. Wir profitieren tatsächlich vom immer gepredigten „Teamflug“, es geht etwas einfacher. Am Flimserstein finde ich schon etwas tief wieder schwaches Steigen am von der  Abendsonne beschienenen Fels. Ich fühle leider langsam das Ende meines heutigen Kilometerfressens. Erstmals stört mich der Gedanke einer Rückfahrt am heutigen Tage während meiner Konzentration aufs Fliegen.....Vielleicht habe ich Glück und der meines Wissens aus Fiesch stammende, mich vorhin begleitende Exxtacy Pilot  hat einen Rücktransport im Köcher !?...Also keinesfalls aus den Augen verlieren !! Doch wo steckt der Bursche denn, mein Steigen am Flimserstein hat er leider nicht nutzen können. Etwas später entdeckt mein immer noch intaktes Adlerauge ihn kurz vor der Stadt Chur beim Abkreisen, also da wäre doch noch eventuell meine  Chance. Ich gleite später hoch über Ihm durch und verliere ihn wahrhaftig aus den Augen. Während meines nun auch endgültigen Vernichten nutzloser Resthöhe über der Churer Allmend versuche ich krampfhaft meinen Weggefährten zu finden, erfolglos. Wenig später setze ich meinen Atos beim hier üblichen, tüchtigen Gegenwind sauber in die nähe einer Kampfbahn. Barfuss, es ist verdammt heiss hier unten, eine Marlboro geniessend höre ich in meinem Gurtzeug ein zweimaliges „Piepsen“; toll,  das war das „gute Nacht Lied“  meines nun leeren Akkus des Nokia`s !! Also sitz ich nun in der Sommerhitze der Churer Allmend, wie früher, ohne Natel, komisches Gefühl. Mein Traum eines Fluges am morgigen Tage in weite Ferne gerückt !!...Doch jetzt schauen wir mal, vielleicht kommt noch Einer landen. Keiner kommt Landen, Bölchi, alleine mit seinem Atos, schwitzend in der sengenden Hitze der Allmend. Autos halten am nahen Stop um  zügig aufs Gas tretend schnell wieder ostwärts oder westwärts zu verschwinden. Wenige Passanten mit Hund oder Kinderwagen etc., kämpfen sich , mich verdutzt anschauend entlang eines nahen Feldweges. Es scheint, ich würde nicht mehr einen sehr frischen, allzu seriösen Eindruck zu machen. Der mässige, doch nicht so einfache Flug scheint doch seine Spuren hinterlassen zu haben.

Meinen Flieger längst sorgsam zusammengepackt lässt es mir keine Ruhe , heute hier noch irgendwie mindestens mit der  Matte wegzukommen. Mittlerweile zeigt meine verlässliche Seiko punkt 18 Uhr, hopla, ich glaube ,ich muss mir zügig etwas einfallen lassen was letztlich gen Westen führt?? Richtung Westen entschwindende Autos auf der nahen Schnellstrasse lassen mich schnell mit Gurtzeug zur nahen Abzweigung der Schnellstrasse dislozieren . Den Daumen entschlossen hochhaltend versucht Bölchi sein Glück mit  „Stoppen“. Der einzige glückliche Ort , stoptauglich, erweist sich als nur 50 % ig, rund die Hälfte aller hier passierenden Fahrzeuge biegen bei dieser Einfahrt Richtung Zentrum Chur ab. Geduld ist gefragt, wie sich später zeigen wird, noch mehr Geduld. Trotzdem komm ich dank einem jungen Kerl mit schnellem Fiat Uno relativ rasch hier aus der Hitze der Churer Allmend weg. Wauhh, das ist doch schon mal ein Anfang  Richtung Fiesch ???...Haha...Er bringt mich bis an ein Viadukt mit Abzweigung Flims oder Bahnhof Reichenau. Ich taktiere , marschiere einen Kilometer zum Bahnhof Reichenau. Der mögliche Zug, heute mich nur noch bis Disentis bringend fährt gerade erst eine Stunde später. Den Kopf nach meinem Fluge erstmals komplett im Wasser eines Brunnens des Bahnhof gesteckt, macht Bölchi Kehrt zur Abzweigung Richtung Flims. Den Zug erwische ich allemal gegebenenfalls noch bis Disentis, also nutze ich die Zeit zum „Stöpplen“. Harzig, aber ich komme weg ohne Zug. Ein Jäger bringt mich weiter und ich lass mich zwischen Flims und  Falera rausschmeissen. Taktisch meinerseits vielleicht nicht ganz optimal. Ich marschiere mit Sack und Pack....nur mühsam lässt sich hier im Moment per  Anhalter weiterkommen. Trotzdem, ein junger Pandafahrer, sein ergrauter, grauer  Uhrpanda und sein Fahrstil, dazu eine Ladung Schnapsflaschen auf dem Rücksitz reizen meine Magengegend etwas zu Unmut.  Westlich Ilanz muss er bei seiner Mutter zum Nachtessen. Hunger ? Dazu habe jetzt keine Zeit . Den verbleibenden Rest Isostar aus dem Camelback nach der Landung leergetrunken, das muss im Moment reichen. Den Ort, bei dem ich der forschen Fahrweise entfliehen durfte, hat leider bereits einen Konkurrenten der gleichen Gattung wie der meinen. Ich wünsche Ihm viel Glück, nutze länger  meine alten, aber bequemen Fliegerschuhe auf den Teergeraden Richtung Disentis. Immer den Daumen in die Höhe haltend verliere ich momentan etwas meinen Hochmut mit Ziel Fiesch. Keiner nimmt mich mit.

Eine längere Durststrecke durchlaufen, hat doch ein Junger Bauer ein Einsehen mit mir. Ich werde anständig, bei gutem Gespräch über den heutigen Stand der Technik und seiner Vor-und Nachteile, Wettergeschehen u.s.w.....bis Rabius chauffiert. Dort mitten im Dorf wird die Situation noch besser, ein nettes Girl bringt mich sehr nett leider nur ein Dorf weiter, Girls auf  und ab, jeder Kilometer, auch hier, wie beim OLC zählt.... Nicht lange Frischluft geschnuppert hält ein Skoda Oktavia mit deutschem Kennzeichen. Aus Stuttgart kommend, nimmt mich ein gleichalter Kerl mit, ich bin stolz auf meine Haare, er hat nämlich praktisch keine mehr.In Sedrun ist er beim Geleisebau für eine deutsche Firma tätig . Dort ausgangs, lässt er mich an der Strasse zurück. Nun steh ich hier in Sedrun, es ist mittlerweile gut nach 22Uhr, langsam verbirgt die Sonne auch ihre letzten Strahlen hinter dem Oberalp. Die Hoffnungen , noch wenigstens über den Oberalp nach Andermatt zu kommen, schwinden. Damit mich die Leute aus den Autos in der Dämmerung noch sehen, muss ich bereits halb auf die Strasse stehen.....langsam sehe ich mich, eingekuschelt  im „Smoking Race II“ , an einem windgeschützten Plätzchen  schlafen. Auf der anderen Seite der Strasse zieht es mich schon länger in eine Bar mit anziehender... Barmaid. Wie heisst es doch so schön: „ Männer sehen schneller als sie denken !!“  Nein, Realität bei Seite, ich gebe trotz Dunkelheit nicht auf. John Pendry`s Label „Never say Die, nach dem ich übrigens auch meine Flüge zu gestalten versuche, soll jetzt auch helfen. Die Idee einer der Barbesucher „anzuhauen“ um eine, etwa bezahlte Fahrt nach Andermatt, verwerfe ich nach dem Wegfahren eines der ersten die Bar verlassenden männlichen Barbesucher infolge seines „Pegelstandes“ rasch. Die Barmaid ist doch nicht derart hübsch, Bölchi stoppt weiter, meinen doch auch schönen Daumen himmelwärts streckend, gehalten an einem schon recht dünn gewordenen Faden  der  Hoffnung.

Nach langer „Autopause“ leuchten mir noch einmal zwei Scheinwerfer aus dem Osten entgegen. Der Wagen verlangsamt sein Tempo, ich kann es kaum glauben, hält neben mir ; ein jüngerer Mann fragt mich : wo willst du denn hin so spät ? Ich antworte bereits schüchtern, wenn’s geht Richtung Andermatt, mich selbst leicht schämend vor meinem kühnen Projekt um diese Zeit, letztendlich wollte ich es doch noch bis Fiesch im Wallis schaffen. Er kennt Fiesch vom Hörensagen. Schweigen.... Er öffnet mir spontan die Türe mit den Worten, er wolle über den Gotthard auf den Nufenen, in seinem Bus dort übernachten, um am nächsten Tag einen dortigen Gipfel zu erklimmen. Am folgenden Tage er beruflich in Bern für die SBB verkehrslogistische Aufgaben lösen solle. Er kommt aus dem grossen nördlichen Kanton und ist studierter Verkehrsplanungsingenieur. Über den Oberalp kurvent entwickeln wir ein anregendes Gespräch, wie etwa Vergleiche Schweiz zu  Deutschland.

 Etwas taktisch komm ich im Gespräch nochmals auf seine Pässefahrtpläne zurück. Stelle unseren Gotthard in ein nicht allzu attraktives Licht und erwähne nebenbei, dass es wohl auch möglich sei, über das Wallis zum Nufenen zu kommen ! Kurzweilig schwatzend, leuchten uns bereits die Lichter Andermatt`s entgegen. Ein paar Spitzkehren und wir haben Russi`s Heimat bereits erreicht. Ich kläre meinen nächtlichen Chauffeur nun  kurz vorm Rundkreis Hospental auf, er mich dort rauswerfen möchte , falls er den Gotthard hochdieseln wolle...Keine Diskussion, wir fahren ins Wallis entgegnet er mir, wauhh, Ihr wisst was das für Bölchi heisst, das heisst doch, Fiesch rückt schon ohne Fahren ein mächtiges Stück näher !! Weiter palavernd packen wir bei schon vorgerückter Stunde unsere Knacknuss Furka mit Diesel erzeugter, nächtlicher Thermik. In  Ulrichen angekommen weist mich Markus, so heisst nämlich mein rettender Chauffeur, ich solle seine  Karte suchen und ihm die Distanz nach Fiesch veranschaulichen. Kurz visualisiert, meint er entschlossen, mich ins Hotel nach Fiesch zu fahren .....mir fehlen die Worte.

Dort angekommen, die Uhr zeigt 12 30 Uhr tauschen wir schnell unsere Visitenkarten, ich bedanke mich bei Ihm tausendfach und schon fährt er die ersten Kurven zurück ins Goms. Sein Paket aus dem Baselbiet nach Deutschland ist Ihm sicher.

Mein Hotel wie eine Festung geschlossen, ich ohne Schlüssel, bleibt mir nichts anderes übrig, als die Hotelbesitzerin rauszuläuten, kein Problem, sie schaute noch fern. Macht man normalerweise um diese Zeit als Wirtin ja vermutlich auch. Ihr hört nun richtig, kurz etwas Wasser angeworfen, das Auto gestartet und auf zur Vierpässefahrt Chur retour, dies geflogen, hätte Einiges vereinfacht, aber auch Einiges vermissen lassen. Etwas aus der Vergangenheit ; meine ersten Kurven am Steuer eines Fahrzeuges als 18 jähriger Junge habe ich unter Aufsicht eines damaligen Lausner Rennfahrer`s gemacht. Das gewisse Etwas, was Bölchi dort lernte, kommt mir nun mit Rädern auf Strecke gehend allzu sehr zugute.....tief in der Nacht, ich erinnere mich an keine Zeit mehr, müsste Rechnen, ist auch gegenwärtig beim Schreiben schon spät, ladet und verzurrt  Bölchi mit einem erhabenen Glücksgefühl seinen Atos . Die Vierpässefahrt ohne allzu grossen Zwischenfälle überstanden, fall ich müde aber glücklich um halb Fünf Uhr früh ins Massenlager, wie immer Nr. 3, nur nichts Neues! Ufff, der morgige, was?,  der heutige Flug wäre gesichert. Schlafen kann Bölchi nicht so schnell, zu stark brodelt sein Kopf noch von Erlebtem.

 Als Vielflieger leb ich Fliegen und was gibt mir mein Fliegen doch auch an Leben!!

Fast hätt ich`s vergessen, am folgenden, schlechten Tag lohnte es sich nicht  auf Kühboden zu montieren.......eben doch etwas verrückt oder ?? Gemütlich ,  fährt Bölchi nordwestwärts ins Baselbiet zu seiner Familie, um seiner „Fliegerwitwe“, entschuldigung lieben Frau Sonja wiedereinmal das DU anzubieten......

                                                                                              

 

                                                                                                       Hansjörg