Impressionen aus 4000 m. ü. M

oder

Task Nr. 2 der Schweizer Delta-Interclubmeisterschaft 2003

Am Startplatz First bei Grindelwald sind ca. 70 Tipis, Stewis und Schaltafeln startbereit. Die angesagte schwache Biese weht kräftig und beinahe parallel zum Hang. Nur zögerlich kondensieren ein par wenige Wolkenfetzen. Ein par Gleitschirme, die starten, versinken bald in Richtung Landeplatz. Die Wettkampfleitung reduziert den ursprünglich ausgegebenen Task von 100 auf 65 km. Ich freue mich darüber, denn ich bin vom anstrengenden Flug vom Vortag noch nicht ganz erholt und habe keine Lust auf einen langen Flug in ruppiger Leethermik.

Jetzt ist es soweit: Die ersten Deltapiloten starten und überhöhen schon nach wenigen Minuten. Ich überprüfe nochmals meine Ausrüstung und starte ebenfalls.

Nach einer kurzen Gleitphase um den kleinen Bergrücken auf dem wir gestartet sind, peile ich den Standardschlauch an. Das Gurtzeug ist geschlossen, die Klappen meiner Exxtase sind auf Thermikstellung eingestellt und schon beginnt das Vario zu pipsen. Ich drehe ein, zentriere bei den nächsten Umdrehungen ein wenig nach und verfolge gespannt des Deltapiloten liebste Musik. Pip ....... pip ...... pip .... pip ... pip .. pip .   pip piiip piiiiiiiiiiiip. Grossflächiges Steigen am Anschlag meines Bräunigners Jahrgang 1990 bringt mich in wenigen Minuten unter eine weisse Kuppel von mehreren 100 m Durchmesser. "Maximale Höhe tanken und dann nichts wie weg zur ersten Boje" hat mir SHV Nr. 4007 noch kurz vor dem Start als gratis Tip mit auf den Weg gegeben. Also drehe ich noch einen Kreis. Doch Scheis…, war das ein Kreis zu viel? Der weisse Deckel über mir kommt immer näher und mein Vario spielt verrück. Ich ziehe die Landeklappen voll nach unten und die Speedbar bis zu den Hüften nach hinten. Uff, nur noch 2 m Steigen. Die Sicht nach unten bleibt relativ klar, doch nach vorne sehe ich nur noch weissen Nebel. Hoffentlich ist nicht noch sonst so ein Idiot wie ich in der Luft. Nach wenigen Sekunden wird auch der Himmel vor und über mir wieder klar. Die Sonne hat mich wieder. Ich bin auf 4000 m, zu meinen Füssen liegen die Alpen, zur ersten Boje sind es noch ca. 6 km und ich habe das erste mal Zeit richtig durchzuatmen und mir das Berner Oberland von oben anzusehen. Vor mir taucht der Brienzer- und der Thunersee auf. Die Bira, die erste Boje, ist schnell erreicht. Ich drehe ab und steure zurück zum Startplatz, der 2. Boje. Nun liegt das Panorama von Eiger, Mönch und Jungfrau aus einer ungewohnten Perspektive schräg von oben vor mir. Mein Schlauch steht auch auf dem Rückweg noch und ich tanke die par hundert Meter, die ich beim Gleiten verloren habe schnell wieder auf. Der Task verlang, dass wir die gleiche Strecke nochmals abspulen. Es trägt nun auch unterwegs, so dass ich die par km zwischen den Wendepunkten ohne grossen Höhenverlust abfliegen kann. Ich habe etwas Zeit mich auf die lange Querung nach Interlaken vorzubereiten.

Beinahe 20 km Distanz. Zudem sollte ich bei der letzten Boje über Beatenberg mit mehr als 2000 m ankommen, damit ich sicher wieder Anschluss finde. Mit etwas Rückenwind rechne ich grosszügig mit einer Gleitzahl von 20. Der Höhenmesser zeigt 3600 m. Eine kurze Überschlagsrechnung bestätigt, dass ich noch etwa 600 m Reserve habe, doch Höhe ist immer gut. Schliesslich gibt’s mehr Punkte für den, der spät ins Goal kommt, als für denjenigen der früh eine Aussenlandung gemacht hat.

Mein Weg führt mich ein letztes mal durch den Startschlauch. Von grossflächigem Steigen mit über 5 m/s ist keine Rede mehr. Ich drehe noch ein par Kreise bis auf 3800 m und folge dann dem Pfeil meines GPS Richtung Beatenberg. Die Flabs sind auf 0 Grad, das Gurtzeug in flacher Position und ich fliege mit der Geschwindigkeit des besten Gleitens. Der Landeplatz in Interlaken ist weit voraus, aber ich bin ja wirklich hoch. Die Biese schiebt mich etwas schräg vor sich her. Ich fliege mit 70 km/h über Grund in Richtung Niederhorn und habe weniger als 0.5 m sinken. Nun habe ich die nächsten 15 Minuten keine Sorgen mehr und Zeit die Landschaft und den Flug zu geniessen.

Die Aussicht ist einmalig. Das Blau der Seen unter mir leuchtet aus dem Grün der Wiesen und Wälder hervor. Am Harder hängen tief unter mir ein par Farbtupfer in der Luft. Das müssen ein par dieser Rascheltütenflieger sein, die dort den ganzen Nachmittag verbringen werden. Das Nordufer des Thunersees fällt steil bis ins Wasser hinunter ab und es scheint mir unmöglich dort irgendwo einen Landeplatz zu finden. Auch Thun ist ganz schön gross und umschliesst den westlichen Zipfel des Sees komplett. Eine Landung auf der Allmend ist nicht zu empfehlen. Schon beschäftige ich mich also wieder mit dem weiteren Verlauf meiner Flugroute.

Den Harder lasse ich rechts liegen. Ich bin zu hoch, als dass ich dort etwas Höhe mitnehmen könnte. Vor mir, aber ein par hundert Meter tiefer, in der Nähe der Boje kreist ein Atos. Auch ich habe leichtes Steigen, aber wer schnell sein will, darf in 1 bis 2 m Schläuchen keine Zeit verlieren, wenn es wegen der Höhe nicht absolut notwendig ist. Ich nutze die Pfüpfe die ich durchfliege mit Delfin-Flug und steure nach der letzten Boje direkt das Niederhorn an. Ein Segelflugzeug kreist direkt über der Antenne unter einem kräftigen Kumulusturm. Ich drehe ca. 50 m unterhalb ein und finde sofort kräftiges Steigen. Nochmals ca. 20 km und der Task ist vollendet. Dass ich für diese 20 km eigentlich schon hoch genug wäre kommt mir gar nicht in den Sinn. Ich drehe den Segelflieger aus, da das Steigen im Zentrum des Schlauchs besser ist als aussen rum und bin schon bald wieder an der Basis auf 3500 m. Jetzt mache ich mich auf zum Final-Glide. Die möglichen Notlandeplätze brauchen mich nicht mehr zu interessieren. Um wenigstens ein Teil der Zeit gutzumachen, die ich über dem Niederhorn genossen habe, fliege ich mit 90 km/h Richtung Goal. Je tiefer ich komme desto wärmer wird es. Ich genehmige mir noch ein par Schlucke Wasser und noch 400 m, 300 m 200 m und pip pip pip. GPS und Vario melden sich gleichzeitig. Das GPS zeigt mir an, dass ich mich dem Goal in Brenzikofen nähere, und das Vario, dass ich mit 2 m/s steige.

An diesem Tag wäre noch viel möglich. Ich spiele kurz mit dem Gedanken einen Rundflug über die Schrattenfluh oder nach Bern anzuhängen, entschliesse mich aber aus Rücksicht auf den nächsten Tag den Flug zu beenden. Wo's gutes Steigen hat sind oft auch Abwinde anzutreffen. Ich suche zur Abwechslung mal das, was ich sonst immer mehr oder weniger erfolgreich vermeide und schraube mich die 2000 m, die ich noch zu viel habe in einem 4m Abwärtsschlauch schnell nach unten.

Die Erde hat mich wieder. Auch die Tatsache, dass ich bei der 2. Boje 200 m zu früh abgedreht habe und deshalb nur wenige Punkte für unser Team sammeln konnte, kann das glückliche Leuchten in meinen Augen nicht zum verlöschen bringen. Ich habe einen super Flug in einer grandiosen Umgebung gehabt. Ich hätte mir diesen Flug selber nicht unbedingt zugetraut. An diesem Tag war er aber für mich und viele Andere möglich und ich habe am Abend noch viele zufriedene Gesichter gesehen. Es sind solche Flüge, die mich immer wieder auf einen Berg ziehen, mich losfliegen und die Mühen des Rücktransportes vergessen lassen. Wir haben dieses Jahr die Meisterschaft nicht gewonnen. Die Flüge waren aber genau so schön wie letztes Jahr. Für mich ist es das, was hauptsächlich zählt.

Vielleicht konnte ich mit meiner Schilderung beim Einen oder Anderen Erinnerungen an selber erlebte Streckenflüge wecken und damit animieren das Streckenfliegen wieder aufzunehmen oder gar damit anzufangen. Nur wer sich vom Hausberg weg wagt, kann solche Flüge erleben. Ich bin jedenfalls nächstes Jahr wieder dabei.

Felix