Zu Beginn des Gleitschirmsports – Mitte, Ende der Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, war der Sackflug beim Fliegen ein häufiges Problem; dagegen war seitliches Einklappen als Unfallursache fast unbekannt.
Ich selbst erinnere mich an einen Dauersackflug über 300 Meter bis zum Aufschlag bei einer deutschen Meisterschaft 1988 oder 1989. Er endete auf der Wiese neben dem Landeplatz, ich selbst auf dem vorletzten Rang des Wettbewerbs.
Die Weiterentwicklung der Gleitschirme im letzten Jahrzehnt hat Sackflüge zu einem recht seltenen Phänomen gemacht. Sicherheitsprobleme gibt es eher mit dem diametral entgegen gesetzten Schirmverhalten in Extremsituationen. Vorschießen nach Einklappern, Nachdrehen oder stabiles Weiterdrehen bei Steilspiralen, also eine starke Tendenz nach vorne, Richtung kleiner Anstellwinkel und hohe Geschwindigkeit. Trotzdem ist der Sackflug als Unfallproblem nicht ganz ausgestorben und erlebt inzwischen wieder eine Art kleines, wenn auch wenig begrüßtes „Comeback“.
Erinnern wir uns an die aerodynamischen Grundlagen. Bei einem Sackflug ist die Umströmung des Flügelprofils unterbrochen, die Anströmung erfolgt wie bei einer Rundkappe praktisch ausschließlich von unten. Der Schirm fliegt nicht mehr vorwärts und sinkt mit 4 – 7 m/Sek. senkrecht nach unten. Ein Dauersackflug, also das längere Verharren des Schirmes in diesem Zustand, kann mit heutigen Schirmen nur noch theoretisch über die Bremsen erflogen werden. Zwischen Minimalgeschwindigkeit und Fullstall liegen nur Millimeter Steuerweg, eine deutliche Sackflugphase ist nur noch für versierte Testpiloten durch feinstes Spiel mit den Steuerleinen erfliegbar.
Trotzdem gibt es Unfälle durch Dauersackflüge. Diese werden nicht durch zu starkes Anbremsen des Schirmes verursacht. Vielmehr können Pilotenfehler, Trimmabweichungen am Gerät oder äußere Faktoren dazu führen, dass der Gleitschirm den kritisch hohen Anstellwinkel überschreitet. Nachfolgend werden Situationen beschrieben, die in den letzten Jahren zu Sackflug-Unfällen geführt haben.
Fliegen mit nassem Schirm
Wird ein Gleitschirm durch einen Regenschauer stark durchnässt, erhöht sich das Gewicht der Kappe. Da der Gleitschirm nicht über die ganze Fläche gleichförmig belastet wird – 2/3 des Gewichtes trägt der vordere Bereich - verursacht die Gewichtszunahme einen höheren Anstellwinkel. Verstärkt kann dieser Effekt noch dadurch werden, dass sich Wasser, das durch die Eintrittskante ins Kappeninnere eintritt, an der Austrittskante sammelt und diese zusätzlich nach unten zieht. Resultat: Der Schirm fliegt langsamer im Trimmspeed, die Geschwindigkeitsdifferenz zur Stallgeschwindigkeit wird geringer, der verfügbare Steuerweg deutlich kleiner.
Zu Unfällen kann es in solchen Situationen vor allem dann kommen, wenn die Piloten das veränderte Flugverhalten des nassen Schirmes nicht berücksichtigten. Auf dem Video ist ein Sackflug mit anschließendem Trudeln zu sehen, verursacht durch zu starkes Anbremsen beim Öffnen der angelegten Ohren. Der Pilot war unmittelbar vorher durch einen Regenschauer geflogen.
Sackflüge unmittelbar nach dem Start
Dass ein Gleitschirm unmittelbar nach dem Abheben in den Sackflug übergeht, ist am häufigsten beim Windenschlepp zu beobachten. Die Ursache hierfür liegt fast immer an einem Pilotenfehler. Beim Aufziehen werden die A-Tragegurte nicht so lange genug geführt, um die Kappe vollständig über den Piloten zu bringen, der Schirm bleibt im 70° - 80° Grad –Winkel leicht hinter dem Piloten hängen. Der Auftrieb reicht nun zwar zum Abheben aus, die zusätzliche Anstellwinkelvergrößerung durch den anschließenden Schleppvorgang ist aber zuviel; der Schirm geht am Seil in den Sackflug über. Wohl dem, der jetzt einen erfahrenen Windenfahrer hat, der ihn kontrolliert weiterschleppt und im Sackflug, mehr oder weniger sanft, am Boden „absetzt“.
Inzwischen sind einige Unfälle bzw. Vorfälle bekannt geworden, wo das geschilderte Verhalten auch bei Hangstarts aufgetreten ist. Erst vor wenigen Wochen ereignete sich ein solcher Unfall und letztes Jahr konnte ich einen identischen Vorfall beim Fluglehrer-Eingangstest beobachten. Auch hier war der Schirm in der Aufziehphase jeweils nicht ganz vollständig über den Piloten geführt worden. Das steile Startgelände ermöglichte dennoch ein Abheben. Statt nun in der Abflugphase nach vorne zu nicken um sich die fehlende Geschwindigkeit zu holen, ging der Schirm nach kurzer Flugstrecke, möglicherweise aufgrund eines kleinen Steuerimpulses des Piloten, in einen Dauersackflug über. Der eine Vorfall endete verletzungsfrei im Tiefschnee, der zweite verlief weniger glimpflich. Beim Aufprall in einem Geröllfeld brach sich die Pilotin einen Fußknöchel.
Wie ist nun solches Schirmverhalten zu erklären ?
Zunächst einmal sind von dieser Problematik nur wenige Schirmmodelle und auch hier nur Einzelstücke betroffen. In einem Fall musste ein Hersteller eine Sicherheitsmitteilung erlassen und hat alle Schirme ausgetauscht, deren Piloten von Sackflugproblemen berichtet haben. Mit diesem Modell, ein Schirm für sehr leichte Piloten, war es zu mehreren Sackflug-Vorfällen gekommen, die nicht mit Vertrimmung der Leinengeometrie oder erhöhter Luftdurchlässigkeit des Tuches erklärbar waren, teilweise waren die Geräte neuwertig und wiesen keine messbaren Abweichungen zu fabrikneuen Modellen auf.
Hier zeigt sich ein generelles Problem der kleinen Schirmgrößen für leichte Piloten. Der Formwiderstand der kleinen Fläche ist deutlich geringer als bei den Größen für schwerere Piloten. Der Schirm ist schneller und reagiert dynamischer. Um die Reaktionen des Gerätes im Extremflugverhalten klassentypisch zu gestalten, muss unerwünschte Dynamik durch konstruktive Maßnahmen gedämpft werden. Dabei muss manchmal näher an die Sackfluggrenze herangegangen werden als Hersteller und Piloten lieb ist. Der schließlich fein ausbalancierte Schirm fliegt in weiten Bereichen problemlos, zeigt sich aber, wegen der sehr geringen Abweichungstoleranzen, anfälliger in „sackflugträchtigen“ Situationen.
Hohe Luftdichte – sackflugfördernd
Jedem Flieger ist die Tatsache bekannt, dass bei zunehmender Höhe die Luftdichte abnimmt und die Fluggeschwindigkeit steigt. Bei Starts im Hochgebirge macht sich dies durch eine spürbar längere Startstrecke bemerkbar.
Aber auch die Temperatur verändert die Luftdichte. Kalte Luft hat eine deutlich höhere Dichte als warme Luft. Bei –5 ° Grad Celsius ist die Luft um ca. 15% dichter als bei 20° Grad Celsius. Luftdichte ist eine der Messgrößen für die Berechnung des Widerstandes am Flügel. Erhöht sich die Luftdichte, so steigt der Widerstand. Ansteigender Widerstand hat eine Reduzierung der Fluggeschwindigkeit zur Folge. Der bereits im Trimmflug langsamer fliegende Schirm ist in Flugsituationen mit hohem Anstellwinkel deutlich früher an seiner Sackfluggrenze. Dies kann bedeuten, ähnlich wie beim Flug mit einem durchnässten Schirm, dass gewöhnlich problemlose Manöver, wie Ohrenanlegen oder die Ausleitung des B-Stalls, mit einem Sackflug enden. Auch der im Abflug ganz leicht hinter dem Piloten hängende Schirm kann bei tiefen Temperaturen bereits dicht an oder schon jenseits der Sackfluggrenze sein.
Fluglehrer, wie z.B. Klaus Irschik von der Flugschule Göppingen, haben von solchen Erfahrungen jedenfalls bereits mehrfach berichtet. Sie verzichten bei Schulungsflügen in kalter Luft auf sackflugkritische Manöver wie Ohrenanlegen oder B-Stall.
Die Erkenntnisse der Zusammenhänge zwischen Lufttemperatur und Sackfluganfälligkeit sind noch ziemlich neu und nicht fundiert. In jedem Fall scheint gesichert, dass die Neigung zu Sackflügen bei tiefen Temperaturen steigt. Schirme, die von ihrer Konstruktion bereits die Tendenz zeigen, die Strömung verlangsamt aufzubauen (verzögertes Hochsteigen beim Aufziehen, verzögertes Anfahren aus dem B-Stall, verzögertes Öffnungsverhalten nach frontalen Einklappern) sind offensichtlich deutlicher von der Problematik betroffen.
Bleibt noch anzumerken, dass sich alle Vorfälle mit Sackflügen, mit einer Ausnahme, bei tiefen Temperaturen um oder unter dem Gefrierpunkt ereignet haben.
Falten im Tuch
Vor einiger Zeit musste die Fa. Nova einen Teil ihrer verkauften Intermediates Carbon zurückrufen und austauschen. Ein Fehler bei der Herstellung des Tuches hatte zu starker Faltenbildung nach kurzer Gebrauchsdauer geführt. Bemerkbar machte sich dieser Mangel besonders an den verschlechterten Starteigenschaften und stark erhöhter Sackflugtendenz. Swing-Geschäftsführer Günter Wörl hat ebenfalls Erfahrungen mit der Auswirkung starker Falten im Tuch. Vom Produktionsbetrieb fabrikneu gelieferte Prototypen, die durch eine Vakuum-Packmethode besonders stark komprimiert waren, wiesen beim ersten Auslegen starke Falten auf. Die Folge: das Aufziehverhalten beim ersten Start zeigte sich ungewöhnlich stark verzögert, die Kappe blieb deutlich hinter dem Piloten hängen.
Bereits beim zweiten Start verhielten sich die Schirme wieder völlig problemlos. Andreas Kallisch, einem Fluglehrer aus Thüringen, war ein ähnliches Phänomen bereits häufig aufgefallen. Beim Windenschlepp hatte sich gezeigt, dass Schirme, die lange im Packsack verstaut waren ungewöhnlich oft schlechte Starteigenschaften aufwiesen- und zwar unabhängig von den Starbedingungen. Ein paar faltenglättende Aufziehübungen genügten, um das Startverhalten der Geräte entscheidend zu verbessern.
Hier zeigt sich offensichtlich, dass starke Faltenbildung, ob dauerhaft durch ein fehlerhaftes Tuch oder nur zeitweise, durch starkes Komprimieren oder enges Packen des Gleitschirms, Strömungsprobleme verursachen können. Der ohnehin schmale Bereich halbwegs laminarer Anströmung im vorderen auftriebsstarken Bereich des Gleitschirms, zeigt sich empfindlich auf strömungshemmende Falten. Auch hier dürfte das im vorherigen Abschnitt Gesagte zutreffen: Schirme, die generell verzögert Strömung aufbauen, sind stärker betroffen.
Zu kurz eingestellte Bremsen
Mancher Pilot fliegt mit einer Bremseneinstellung, die in Extremsituation zu kritischen Reaktionen des Schirmes führen kann. Dann nämlich, wenn die Bremsen so stark verkürzt worden sind, dass die Hinterkante des Schirmes, auch bei völlig gelösten Bremsen, leicht heruntergezogen ist. Immer dann, wenn der Schirm keinerlei Bremsbetätigung verträgt, in Situationen mit hohem Anstellwinkel wie z.B. Ohrenanlegen, die Aufziehphase beim Start oder auch bei der Ausleitung eines B-Stalls, ist die Kappe vorgebremst. Damit verstärkt sich die Gefahr eines Sackfluges oder Dauersackfluges deutlich. Vor einigen Jahren ereignete sich ein tödlicher Unfall durch stabiles Trudeln (Negativdrehen) des Schirmes bis zum Aufprall auf den Boden. Die Unfalluntersuchung hat hier ergeben, dass der Schirm tatsächlich stabil trudelte und zwar weil die Bremsen so kurz eingestellt waren, dass die Kappe ständig vorgebremst war.
Trimmungsänderungen
Die Liberalisierung der Nachprüfpflicht hat durchaus auch negative Folgen. Mancher Pilot steht dieser wichtigen Kontrolle nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit gegenüber. Die genaue Überprüfung der Trimmung des Gleitschirms ist aber für die Flugsicherheit von größter Bedeutung. Bereits kleine Abweichungen können zu stark geändertem Flugverhalten führen. Generell, aufgrund der Lastverteilung an der Kappe, bewegt sich eine Trimmungsänderung im Laufe der Gebrauchsdauer, stets in Richtung höherer Anstellwinkel. Dabei dehnen sich die stärker belasteten vorderen Leinenebenen geringfügig. Die weniger belasteten hinteren Leinenebenen behalten ihre Länge oder sie schrumpfen in geringem Maße. Das führt zu einem insgesamt höheren Anstellwinkel. Weil sich dieser Prozess schleichend vollzieht, fällt den Piloten ein geändertes Flug- und insbesondere Startverhalten oft nicht auf.
Was tun bei einem Sackflug ?
Ein (Dauer)-Sackflug macht sich bemerkbar durch ein vollständiges Nachlassen der Fahrtgeräusche und durch die Sinkbewegung der Kappe senkrecht nach unten. Die Schirmkappe ist ganz gefüllt aber häufig sind deutliche Falten im Untersegel erkennbar. Stellt der Pilot einen Sackflug fest, sollte er zunächst mit völlig gelösten Bremsen einige Sekunden warten. Meist fährt der Schirm wieder von selbst an und geht an die Strömung. Ändert sich nichts an dem Flugzustand, muss der Dauersackflug aktiv ausgeleitet werden. Das beste Mittel hierfür ist das Durchtreten des Fußbeschleunigers. Ist dieser gerade nicht einsatzbereit oder unerreichbar, muss der Pilot die A-Gurte noch vorne drücken oder herunterziehen um die Schirmnase nach unten zu zwingen. Obwohl überraschend wenig Druck auf den A-Gurten ist (ein Einklappen ist nicht zu befürchten) funktioniert dies Methode zur Sackflugausleitung in der Regel gut. Dringend abgeraten werden muss von veralteten Verhaltensanweisungen für die Sackflugausleitung, wie Einleiten einer Steilkurve (führt sicher zum Trudeln) oder beidseitiges starkes Anbremsen (führt sicher zum Fullstall). Der Pilot muss sich stets darüber bewusst sein, dass bereits geringe Bremsbetätigung im Sackflug zum vollständigen Strömungsabriss führen kann.
Passiert`s in Bodennähe, so sollte der Pilot keine Ausleitversuche unternehmen, da diese immer mit einer deutlichen Pendelbewegung verbunden sind sondern sich auf die harte Landung mit erhöhtem Sinken einstellen. Aufrichten, Beine angewinkelt zusammenpressen, Muskeln anspannen, Aufprall durch seitliche Abrollbewegung dämpfen. Einige Piloten haben inzwischen darüber berichtet, dass sie sich bei einer Landung mit hohem Sinken bewusst für einen Aufprall auf dem Rückenprotektor entschieden haben und dabei unverletzt blieben. Eine allgemeine Empfehlung kann dies jedoch nicht sein, da die DHV-Protektortests lediglich eine Fallhöhe von 1, 5 Meter simulieren. Ein Versagen (z.B. Platzen) des Rückenprotektors wegen Überlastung hätte zur Folge, dass ein großer Teil der Fallenergie ungedämpft auf die Wirbelsäule einwirken würde. Bei einer Landung im Sackflug bewusst die Bremsen nicht betätigen, da der Schirm sonst abrupt nach hinten wegkippen würde.
Zusammenfassung
Ein vorrangiges Sicherheitsproblem sind Sackflüge nicht, im Jahr 2003 wurden bisher 5 Vorfälle gemeldet. Die Problematik ist keine Generelle. Einige wenige Schirmtypen sind stärker betroffen und können, meist in Verbindung mit ungünstigen äußeren Faktoren, deutliche Sackflugtendenzen zeigen. Mit den zusätzlichen Testflugmanövern der neuen Lufttüchtigkeitsforderungen, Ohrenanlegen und Ohrenanlegen beschleunigt, können die DHV-Testpiloten noch besser als bisher Sackflugtendenzen bei Gleitschirmen im Musterprüfverfahren gezielt erkennen. Trotzdem sollten sich alle Piloten mit dem Problem beschäftigen, damit der theoretische Background für gezieltes Handeln vorhanden ist.
Sicherheitshinweise
Karl Slezak
Sicherheitsreferent